

Rechtliches
Bahnbrechendes Urteil
Das Oberlandesgericht hat am 28. Mai sein Urteil in der Klage von Saúl gegen RWE verkündet: Das deutsche Zivilrecht sieht große Emittenten wie RWE in der Pflicht, Betroffene weltweit vor der Klimakrise zu schützen. Diese Grundsatzentscheidung haben die Richter des OLG zum ersten Mal in der Geschichte in einem Urteil festgeschrieben. Dieses wegweisende Urteil ist ein großer Erfolg – obwohl im konkreten Einzelfall von Saúl Luciano Lliuya die Klage abgewiesen wurde. Nach Auffassung des Zivilsenats ist im spezifischen Fall, also bezogen auf das Hausgrundstück des Klägers, das Risiko von Schäden durch eine Gletscherflut nicht ausreichend hoch. Führende Wissenschaftler hatten das als Gutachter der Klägerseite anders gesehen.
Alle wichtigen Punkte des Urteils finden Sie hier
Hier können Sie das Urteil herunterladen
Unsere Analyse des Urteils: "Das Ende der Verantwortungslosigkeit. Der Präzedenzfall Saúl Luciano Lliuya vs. RWE."
Ein Präzedenzfall

Saúl Luciano Lliuya mit den Rechtsanwältinnen Dr. Roda Verheyen und Clara Goldmann beim Oberlandesgericht Hamm zur Klimaklage gegen RWE.
Am 24. November 2015 reichte der Bergführer und Bauer Saúl Luciano Lliuya, vor einem deutschen Zivilgericht eine Klage gegen den Energiekonzern RWE ein. Sein Haus ist durch eine Flutwelle des anwachsenden Gletschersees Palcacocha bedroht. Die Ursache dafür ist der Klimawandel, den RWE durch sein Geschäftsmodell mitverursacht.
In der Anklageschrift heißt es: "Festzustellen, dass die Beklagte verantwortlich ist, entsprechend ihres verhältnismäßigen Anteils an der Beeinträchtigung in Höhe von 0,47 % Kosten für geeignete Schutzmaßnahmen zu übernehmen, soweit diese durch den Kläger oder Dritte Personen durchgeführt werden, um das Eigentum des Klägers vor einer Gletscherflut aus dem Palcacocha See zu schützen, insoweit wie der Kläger durch diese Kosten belastet wird."
Am 30. November 2017 stellte das Oberlandesgericht Hamm (OLG) fest, dass es einen zivilrechtlichen Anspruch auf der Grundlage des "Nachbarschaftsparagraphen" 1004 BGB gegen den Energiekonzern RWE grundsätzlich für möglich hält und entschied den Eintritt in die Beweisaufnahme.
Mit diesem Beschluss schrieb das Gericht Rechtsgeschichte! Erstmals hat ein Gericht bejaht, dass prinzipiell ein privates Unternehmen für seinen Anteil an der Verursachung klimabedingter Schäden verantwortlich ist. Dies gilt dann, wenn ein Anteil konkreter Schäden oder Risiken für Privatpersonen oder ihr Eigentum den Aktivitäten des Unternehmens zugeordnet werden kann.
Die größte Hürde haben wir bereits genommen. Nämlich die Entscheidung, ob Klimaschäden zu einer Haftung von Unternehmen führen können. Von nun an müssen wir uns mit den Fakten und der Wissenschaft auseinandersetzen.
Rechtsanwältin Dr. Roda Verheyen
Beweisaufnahme
1. Besteht eine ernsthaft drohende Beeinträchtigung des Hausgrundstücks des Klägers?
2. Inwieweit haben der Klimawandel und die von RWE freigesetzten CO2-Emissionen zu dieser Beeinträchtigung beigetragen?
Für die Beantwortung der ersten Beweisfrage veranlasste das Gericht einen Ortstermin in Huaraz, der aufgrund der Corona Pandemie immer wieder verschoben werden musste.
Ende Mai 2022 reisten Richter:innen des OLG Hamm, Rechtsbeistände und vom Gericht bestellte Gutachter nach Peru, um zu untersuchen, ob das Haus des Klägers und seiner Familie tatsächlich von einer möglichen Flutwelle des oberhalb der Stadt liegenden Gletschersees Palcacocha bedroht ist.
Die Gutachter legten im Sommer 2023 ein Gutachten vor, auf das die Prozessbeteiligten reagieren konnten. Die Klägerseite machte mit Studien renommierterer Klima- und Gletscherwissenschaftler deutlich, dass aufrgund des Klimawandels ein akutes Risiko für Felsabbrüche und Lawinen besteht. Im März 2025 fand am OLG Hamm die mündliche Verhandlung statt, zu der Kläger Saúl nach Deutschland reiste. Die Richter setzten sich dabei im Detail mit den Gutachten zum Flutrisiko für das Grundstück des Klägers auseinander.
Ich hoffe, dass die Richterinnen und Richter sowie auch die Vertreter von RWE durch ihren Besuch erkannt haben, welchem ständig steigenden Risiko wir hier ausgesetzt sind. Die Frage ist für uns nicht, ob eine Flutwelle droht, sondern wann und wie schlimm sie uns trifft.
Saúl Luciano Lliuya.

Saùl Luciano Lliuya während des Besuchs vor Ort in Huaraz auf einer Brücke, unter der zwei Flüsse aus den Anden zusammenfließen.
Timeline
Was ist im zehnjährigen Verfahren alles passiert?
24.11.2015: Saúl Luciano Lliuya reicht die Klage beim Landgericht Essen ein, das sie als „Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung“ einstuft.
Juni 2016: In der Klageerwiderung bestreitet RWE die eigene Verantwortung für Klimaschäden in den Anden und leugnet das Flutrisiko.
15.12.2016: Das Landgericht Essen weist die Klage ab mit der Begründung einer fehlenden "rechtlichen Kausalität". Gleichwohl räumte es aber eine mögliche "naturwissenschaftliche Kausalität" ein.
26.01.2017: Saúl Luciano Lliuya legt beim Oberlandesgericht Hamm (OLG) Berufung ein.
13.11.2017: Bei der mündliche Anhörung gibt das OLG an, dass große Emittenten wie RWE grundsätzlich verpflichtet sind, Betroffene von Klimaschäden in armen Ländern zu unterstützen.
30.11.2017: Das OLG entscheidet den Eintritt in die Beweisaufnahme.
25.02.2018 und 14.03.2018: Das OLG weist zwei Gegendarstellungen von RWE gegen den Beweisbeschluss klar zurück und stellt erneut fest: Klimaschäden können eine Unternehmenshaftung begründen.
Mai 2022: Gerichtlicher Ortsbesuch zur Beweisaufnahme in Huaraz.
August 2023: Sachverständige legt sein Gutachten zur 1. Beweisfrage vor.
4.02.2025: OLG gibt die Termine für die mündliche Verhandlung bekannt. Sie wird am 17. und 19.3.2025 stattfinden.
17.03.2025 und 19.03.2025: Die mündliche Verhandlung am OLG Hamm findet statt und Kläger Saúl Luciano Lliuya reist hierfür nach Deutschland.
28.05.2025: Verkündung des Urteils.
§1004 - Globale Nachbarschaft im Kontext der Klimakrise
Anspruchsgrundlage ist § 1004 Bürgerliches Gesetzbuch, die allgemeine Vorschrift des deutschen Zivilrechts zum Schutz gegen Eigentumsstörungen.
Abs. 1: Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.
Abs. 2: Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.
Der Paragraf 1004 wird in der Praxis normalerweise bei Nachbarschaftsstreitigkeiten angewendet. Er ist bereits seit 1900 in Kraft. Schon in der Gesetzesbegründung von 1899 wies der Gesetzgeber darauf hin, dass diese Norm auch ein rechtliches Verhältnis über breitere Strecken regulieren kann. Die Klage hat bewirkt, dass Paragraf 1004 neu gelesen wird.
Im Fall RWE hat das OLG Hamm entschieden, dass der Klimawandel mit seinen grenzüberschreitenden Auswirkungen eine Art globales Nachbarschaftsverhältnis herbeigeführt hat, sodass der Paragraf 1004 auch hier gilt. In diesem Fall sind es ungefähr 10.000 Kilometer Luftlinie, die der Hauptsitz von RWE in Essen vom Kläger Saúl Luciano Lliuya in den peruanischen Anden trennt. In zahlreichen anderen Ländern wie zum Beispiel Großbritannien, den Niederlanden, USA oder in Japan gibt es ganz ähnliche rechtliche Voraussetzungen, auf die sich Betroffene berufen können.
Möchten Sie mehr über die rechtlichen Hintergründe erfahren? In dieser Publikationsliste finden Sie weiterführende Literatur zum Thema Klimahaftung.
Die Bedeutung der Klimawissenschaft
Dies ist die erste Klimaklage, in der die Attributionsforschung maßgeblich vor Gericht getestet wurde. Das Gericht akzeptierte grundsätzlich Klimamodelle als Mittel zur Beweisführung. Unternehmen wie RWE können grundsätzlich für die Folgen ihres Geschäftsmodells haften, falls die Wissenschaft die Mitursächlichkeit beweisen kann. Dies musste im Rahmen der Beweisaufnahme für die konkrete Region in den Anden durch Wissenschaftler:innen zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesen werden.
Als bisher weltweit einzige Klage dieser Art, die es in die Beweisaufnahme geschafft hat, ist es eine besondere Herausforderung für das Gericht und die beteiligten Wissenschaftler:innen, die komplexen Beweisfragen anzugehen.
Der Fall fordert die Wissenschaft stark heraus, weil wir verschiedene Wissenschaftsdisziplinen zusammenbringen müssen, die teilweise immer noch ungenügend zusammenarbeiten. Wir brauchen ein umfassenderes Verständnis der Interaktionen des Menschen auf das Klimasystem, die Ökosysteme und die Rückwirkungen auf die Gesellschaft und deren Antwort darauf.
Prof. Dr. Christian Huggel, Geograf und Klimaforscher
Schon eine unabhängige wissenschaftliche Untersuchung von Forschern der Universitäten Oxford und Washington kommt zu klarem Ergebnis: Erwärmung, die in der Region oberhalb von Huaraz Gletscherschmelze verursacht, ist zu mehr als 85 Prozent auf Emissionen durch Menschen zurückzuführen. Es sei sogar zu mehr als 99 Prozent sicher, dass sich der Rückzug des Gletschers, der zu dem Flutrisiko am dortigen Gletschersee führt, nicht allein mit natürlichen Veränderungen erklären lasse.
Diese Studie von unabhängigen Dritten liefert wertvolles Beweismaterial, um die Kausalkette zwischen den Emissionen von RWE und den Klimawandelfolgen in den Anden aufzuzeigen. In der Zukunft könnten weitere Studien dieser Art ähnliche Klagen ermöglichen, um auch andere große Treibhausgasemittenten zur Verantwortung zu ziehen.
Auch die RealClimate-Studie zeigt, dass tropische Andengletscher heute kleiner sind als je zuvor im gesamten Holozän, also seit über 11.000 Jahren. Mithilfe von Isotopenanalysen in freigelegtem Gestein wurde nachgewiesen, dass viele dieser Flächen seit Beginn der menschlichen Zivilisation durchgängig vereist waren – bis jetzt. Der dramatische Rückgang der Gletscher steht im direkten Zusammenhang mit der menschengemachten Erderwärmung und hat auch Relevanz für laufende Klimaklagen wie die von Saúl gegen RWE.
Gerichtsdokumente
Kontakt
Aktuelles
Aktuelles
Das Ende der Verantwortlungslosigkeit: Der Präzedenzfall Saúl Luciano Lliuya vs. RWE
Mit dem Urteil des Oberlandesgerichts Hamm im Fall Lliuya gegen RWE wurde Rechtsgeschichte geschrieben. Zum ersten Mal hat ein deutsches Gericht anerkannt, dass ein Unternehmen für seinen Beitrag zur globalen Klimakrise zivilrechtlich haftbar gemacht werden kann – auch über Landesgrenzen hinweg. Hier lesen Sie alle wichtigen Ausführungen aus dem Urteil vom 28.5. 2025
Mehr lesenDas Urteil vom 28.5. auf einen Blick
Am 28. Mai 2025 hat das Oberlandesgericht Hamm (OLG) in der Klimaklage von Saúl Luciano Lliuya ein historisches Urteil gefällt, das weit über den Einzelfall hinausreicht.
Mehr lesenBahnbrechendes Urteil in Klimaklage gegen RWE: Große Emittenten können für Klimarisiken haftbar gemacht werden
Saúl Luciano Lliuya gegen RWE: Das deutsche Zivilrecht sieht große Emittenten wie RWE in der Pflicht, Betroffene weltweit vor der Klimakrise zu schützen. Diese Grundsatzentscheidung haben heute Richter des Oberlandesgerichts Hamm zum ersten Mal in der Geschichte in einem Urteil festgeschrieben.
Mehr lesenOnline-Event "A Legal Milestone in Climate Litigation: The Saúl vs. RWE Decision"
After a decade of legal proceedings, a landmark decision has been made. On May 28, the Higher Regional Court of Hamm delivered its ruling in the case of Saúl vs. RWE— a decision that reshapes corporate accountability in the face of the climate crisis. Watch the recording of our online event which took place just hours after the court delivered its decision. Together with Saúl Luciano Lliuya, his lawyer Roda Verheyen and colleagues from Germanwatch we analyse the precedent setting judgement.
Mehr lesen