„Die aufgenommenen Beweise sind überwältigend.“
Im Mai 2022 haben Vertreter:innen des Oberlandesgerichtes Hamm gemeinsam mit den gerichtlich bestimmten Sachverständigen das Haus des Klägers Saúl Luciano Lliuya und die Laguna Palcacocha besucht, um sich ein Bild der Gefahrenlage zu verschaffen. Dr. Noah Walker-Crawford, externer Germanwatch-Berater für Klimaklagen, war vor Ort dabei und schildert seine Eindrücke im Interview.
Was ist beim Ortstermin in Huaraz passiert?
Mit dem Ortsbesuch wollte sich das Gericht ein eigenes Bild von der Situation vor Ort machen. Das ist in einem Zivilprozess eigentlich nichts Ungewöhnliches, etwa wenn in einem Nachbarschaftsstreit die Grundstücksgrenze in Augenschein genommen wird. Aber der Ortsbesuch eines deutschen Gerichts in Peru ist außergewöhnlich – vielleicht gar historisch. Während des Termins wurde das Haus des Klägers Saúl Luciano Lliuya in Huaraz und der auf 4.500 Höhe gelegene Palcacocha-See besucht.
Neben den juristischen Fragen war uns sehr wichtig, mit den Menschen vor Ort ins Gespräch zu kommen. Deswegen haben wir mit der lokalen NGO Wayintsik mehrere Treffen in unterschiedlichen Gemeinden durchgeführt. Es war ergreifend zu sehen, wie der Fall inzwischen von der Regionalregierung, dem Nationalpark und den umliegenden Dörfern unterstützt wird.
Der Palcacocha-Gletschersee gilt als der gefährlichste der Region. Welche Auswirkungen hat der Klimawandel in den Anden?
Die Folgen der globalen Erwärmung sind hier sehr deutlich sichtbar. Als wir dort waren, löste sich ein Brocken Eis vom Gletscher und rollte donnernd den Berg hinab. Ein deutlicher Hinweis darauf, dass bereits über 50 % der Gletschermasse in den peruanischen Anden verschwunden ist. Seit den 1970er Jahren hat sich das Wasservolumen des Gletschersees um das 34-fache vergrößert. Die zentrale Ursache hierfür ist der menschengemachte Klimawandel. Die Gefahr ist groß, dass eine gewaltige Flut- und Schuttwelle ausgelöst wird, so wie dies bei nahe gelegen Seen bereits der Fall war.
Das Gericht beschäftigt sich mit der Frage, ob das Haus des Klägers von einem Flutrisiko bedroht ist. Welchem Risiko sind die Bewohner:innen von Huaraz ausgesetzt?
Der gesamte Stadtteil und insgesamt etwa 50.000 Bewohner:innen befinden sich in der Hochrisikozone für massive Flut- und Schuttwellen. Die Gefahr einer solchen Flutwelle ist im Stadtbild omnipräsent, überall sind Schilder der Evakuierungsrouten zu finden, die den Bewohner:innen im Notfall den Fluchtweg weisen. Schon 1941 fielen einer Flutwelle mehrere Tausend Menschen zum Opfer. Seither ist das Risiko einer neuen Flut durch den Klimawandel drastisch gestiegen und wird von den peruanischen Behörden als akut eingeschätzt.
Wie geht es nun weiter mit dem Verfahren?
Die vom Gericht bestellten Gutachter werden nun ein Gutachten verfassen und dem Gericht vorlegen. Danach haben die Prozessbeteiligten Zeit darauf zu reagieren. Wahrscheinlich wird es auch eine mündliche Verhandlung geben, um das Gutachten zu diskutieren. Kommt das Gericht zum Entschluss, dass ein rechtlich relevantes Risiko vorliegt, dann wird die zweite Beweisfrage analysiert: ob das Risiko RWE aufgrund des wesentlichen Beitrags des Konzerns zum Klimawandel teilweise zugeordnet werden kann. Zum aktuellen Zeitpunkt könnte das Verfahren noch etwa zwei Jahre dauern.
Wie bewertest du den Ortstermin?
Die aufgenommenen Beweise sind überwältigend. Wir hoffen, dass es jetzt zu einem schnellen Urteil kommt, sodass mit den notwendigen Schutzmaßnahmen endlich begonnen werden kann. Aus unserer Sicht hat der Ortstermin die Risiken des globalen Klimawandels für Saúl Luciano Lliuya und die Menschen in Huaraz sehr deutlich gemacht.